Santiago –

Ende und Anfang aller Wege

 

Es ist immer wieder herzzerreißend, in Santiago anzukommen. Der Stolz und das Glück, es geschafft zu haben, mischt sich mit schmerzlicher Wehmut, dass die wunderbare Zeit am Jakobsweg nun zu Ende ist — das ging mir als Pilgerin nicht anders wie als Hospitalera. In beiden Fällen wartete nun wieder der normale Alltag auf mich, galt es, zurück zu kehren auf den Camino des Lebens.

Bei meiner Pilgerreise war die Etappe nach Santiago die längste des ganzen Weges gewesen. Uschi, meine Wandergefährtin der letzten Tage, und ich hatten uns eigentlich mehr Zeit lassen, unterwegs noch einmal übernachten wollen. Aber dann entwickelte die Stadt einen unwiderstehlichen Sog und obwohl es ein glühend heißer Tag war, marschierten wir immer weiter. Um halb neun Uhr abends betraten wir schließlich die Kathedrale, sahen im schummrigen Licht die silberglänzende Figur des Heiligen Jakobus über dem Hochaltar — und konnten es kaum fassen: Wir hatten es wirklich und wahrhaftig geschafft, hatten unseren Camino vollendet.

Während es mir seinerzeit nicht schnell genug gehen konnte, Santiago zu erreichen, war ich nun froh, dass es lange dauerte. Denn wenn ich erst dort angekommen war, würde ich nur noch zwei Tage haben, bevor es zurück nach Deutschland ging.

Während der Bus Schlangenlinien durch Galicien fuhr und Umwege über viele Ortschaften machte, zog ich die Bilanz meiner Hospitalera-Zeit. Meine Einsatzorte mit ihren jeweiligen Erfahrungen hatten aufeinander aufgebaut wie Stufen einer Treppe, ich hätte sie in gar keiner anderen Reihenfolge absolvieren dürfen. Angetreten war ich mit dem journalistischen Eifer, die Magie des Camino auszukundschaften — gepaart mit dem eitlen Ehrgeiz, eine so hervorragende Hospitalera zu sein, dass ich allen Pilgern unvergesslich bliebe.

Letztlich waren aus den ultimativen Recherchen zu einem nicht-fassbaren Phänomen Momentaufnahmen von einem merkwürdigen Jahr an einem magischen Pfad geworden — und dieses Ergebnis empfand ich keineswegs als unbefriedigend. Schon im nächsten Jahr konnte sich der Camino ganz anders darstellen, als ich ihn erlebt hatte. Alles war hier ständig im Fluss, neue Herbergen machten auf, andere wurden geschlossen, wechselnde freiwillige Hospitaleros drückten den Albergues ihren Stempel auf und jedes Jahr machten sich andere Pilger auf den Weg. Genau dieser ständige Wechsel, das immer Neue, war ja auch das Schöne am Camino.

Und was meinen eitlen Anspruch, eine unvergesslich hervorragende Hospitalera zu sein, betraf — es war mir nicht mehr wichtig, ob und wie viele der weit über 1500 Pilger, die während meiner Dienstzeiten durch die jeweiligen Herbergen gekommen waren, sich an mich erinnerten. Ich wusste, dass ich einen guten Job gemacht hatte — das allein zählte. Überhaupt hatte ich mich ganz schön verändert in meiner Hospitalera-Zeit, gemäß dem Motto von Roys Engelkarte — Erziehung. Viele Ecken und Kanten, entwickelt in langen mehr oder weniger unfreiwilligen Single-Jahren, wurden mir abgeschliffen. Daneben lernte ich eine Menge über das, was in mir steckte, ich bislang aber weder entdeckt, noch herausgelassen hatte. Insgesamt gesehen fand ich, dass ich bescheidener geworden war, flexibler, geduldiger und herzlicher — keine schlechten Voraussetzungen, wenn man eine neue Arbeitsstelle sucht. Wahrscheinlich passte ich ohnehin gar nicht mehr in meinen alten Job. Womöglich würde ich in zehn Jahren rückblickend sagen, dass jene Kündigung damals das Beste gewesen sei, was mir hatte passieren können.

In Santiago ging ich — wie einst als Pilgerin — zuerst in die Kathedrale.

„Ich bin wieder da“, flüsterte ich, als ob die silberne Figur des Heiligen Jakobus, die über dem Hauptaltar thronte, darauf antworten könnte. Es war Abend, die Kirche anheimelnd schummrig und fast leer und ich fühlte wieder dieses seltsame Prickeln in Körper und Seele, das ich jedes Mal dort empfand, wenn mich nicht gerade Touristengruppen einkeilten. Matthias hatte gesagt, die Energie werde immer größer, je näher man Santiago komme. Befand ich mich nun tatsächlich am Endpunkt einer kosmischen oder sonstigen Kraftlinie — an einer bereits in vorchristlicher Zeit heiligen Stätte?

Ach, ich sollte das journalistische Hinterfragen endlich lassen und einfach nur froh sein, dass ich an einem Platz stand, dessen Energien, Schwingungen, oder was auch immer, den meinen entsprachen und mich „Zuhause“ fühlen ließen. Von der Kirche waren Uschi und ich seinerzeit ins Pilgerbüro gehastet, wo uns, den letzten Ankömmlingen dieses Tages, die Compostelas ausgestellt wurden, jene Urkunden in lateinischer Sprache, die uns die Vollendung unserer Pilgerreise bestätigten. Danach zogen wir in eine Kneipe nicht weit entfernt und feierten unsere Ankunft, den Camino, uns selbst, das Leben als solches.

In genau diese Kneipe ging ich auch jetzt, bestellte mir wie damals einen Wein. Ich hatte mein Glas noch nicht ausgetrunken, als Bram hereinkam und sich ganz selbstverständlich neben mich an den Tresen stellte. Es war, als hätten wir uns dort verabredet, dabei hatten wir lediglich gehofft, uns wiederzusehen, denn wie wir in Rabanal feststellten, entsprach die Zeit, die er noch für seinen Camino brauchte, in etwa der Dauer meines Aufenthalts in der Herberge. Dass wir uns derart einfach treffen würden, damit war nicht zu rechnen gewesen. Im Übrigen hätte ich keinen Tag später ankommen dürfen, am anderen Morgen ging Brams Flugzeug zurück nach Holland.

Nachdem ich in derselben kleinen Pension wie damals als Pilgerin eingecheckt hatte, gingen wir zusammen essen. Ich hatte Bram nie gefragt, warum genau er sich auf den Camino gemacht hatte und was speziell er dort finden wollte — aus dem, was er von sich aus bereits erzählt hatte, wusste ich, dass es ihm ähnlich ging wie mir. Er war auf einer Art Selbsterkenntnistrip und suchte die Richtung für seinen zukünftigen Lebensweg.

„Es ist wirklich erstaunlich, über was man sich alles klar wird auf diesem Camino. Man entdeckt Dinge, die schon immer da waren, die man aber nicht sehen konnte“, sagte er jetzt dementsprechend. „Das ist wie mit diesen gelben Pfeilen, den Flechas, die den Weg markieren. Manchmal denkt man: Da ist ja gar kein Pfeil — wo geht es jetzt lang? Und dann schaut man sich um und entdeckt mit einem Mal doch einen und er war die ganze Zeit da, man hat ihn bloß nicht gesehen.“ Er lächelte. „Darum habe ich das auch als Motto für meinen Camino genommen: Es ist schon da, aber man sieht es nicht.“

Wir schwiegen eine Weile und sahen jeder für sich vor seinem inneren Auge eine Reihe von Flechas, im tatsächlichen wie übertragenen Sinne, die wir lange Zeit übersehen hatten. Vielleicht war ja alles ganz einfach, überlegte ich. Vielleicht war die viel beschworene Magie des Camino eigentlich die Magie in uns selber — und der Camino war lediglich die Antenne, die uns an unsere eigene Magie anschloss. So besehen schien die Idee von den Ley-Linien weniger absurd, wie sie mir anfangs vorgekommen war, oder die Theorien von anderen besonderen Energiebahnen über, unter oder auf dem Camino.

Andererseits — war es wirklich so wichtig, die Magie des Jakobsweges bis ins Letzte erklären zu können? War es nicht das Wesen von Magie, das sie letztlich unerklärlich bleiben musste? Das einzig Wichtige war doch, dass sie wirkte — bei den einen schnell, bei anderen langsamer und bei manchen auch gar nicht, wenn für sie die Zeit dafür noch nicht reif war.

Am anderen Morgen tranken Bram und ich noch zusammen Kaffee, tauschten Adressen aus und dann machte er sich auf mit seinem Rucksack und seinem Regenschirm — Richtung Flughafenbus und weiter nach Hause — und ich wusste nicht, ob ich jemals wieder etwas von ihm hören würde.

So ist das mit allen Beziehungen, welcher Art auch immer, die auf dem Camino entstehen, und mögen sie noch so intensiv gewesen sein — sentimentaler Abschied in Santiago, vielleicht noch verzögert durch ein paar zusätzliche Urlaubstage — aber dann muss unweigerlich wieder jeder für sich seinen Weg gehen.

David und ich verzögerten damals unseren Abschied, indem wir nach Fisterra fuhren, um am Ende der Welt symbolisch ein paar Sachen zu verbrennen, die wir auf dem Camino getragen hatten. Wir hatten uns sehr keltisch gefühlt, sehr verbunden mit uralten Zeiten, wie wir da standen auf einer Klippe hoch über dem Meer und im Sonnenuntergang unser Feuer bewachten.

„Was meint ihr“, fragte eine Pilgerin, die wir in Fisterra getroffen hatten, am endgültig letzten Tag beim Frühstück unter Santiagos Arkaden, „war das alles nur Zufall, dass wir einander begegnet sind?“

„Nein“, sagte David damals mit dem Brustton der Überzeugung. „Es gibt keinen Zufall. Ich musste Elisabeth treffen.“ Umgekehrt empfand ich es genauso, ohne David wäre mein Camino nicht derselbe gewesen.

Ich flog zurück nach Deutschland und David blieb noch ein paar Monate in Santiago, um Englischunterricht zu geben und besser Spanisch zu lernen. Wir hielten über Mails und Telefon Kontakt, der einschlief, als David nach Irland zurückkehrte. Er war wieder bei seinen leiblichen Schwestern, unsere Ersatz-Geschwisterbeziehung hatte sich damit überlebt — und das war völlig in Ordnung so. Vieles, was man auf dem Camino braucht und bekommt, ist eben nur für die Dauer des Weges bestimmt.

Doch es gibt auch Beziehungen, die bleiben oder die erst nach dem Camino richtig blühen.

Uschi beispielsweise war auf ihrem Pilgerweg immer wieder einem Franzosen begegnet, Norbert, den sie sehr nett fand und umgekehrt er sie auch — aber irgendwie blieb das Ganze im Unverbindlichen stecken. Über freundschaftliche Gespräche in geselliger Runde kamen die beiden nie hinaus. Kaum zurück daheim, erhielt Uschi jedoch eine Mail von Norbert, in der er sich anklagte, ein unglaublicher Narr gewesen zu sein, ein Vollidiot, weil er ihr nicht schon auf dem Camino seine Liebe gestanden habe.

Heute leben die beiden zusammen in Paris.

Eine der Freundschaften, die über meine Pilgerreise hinaus andauerten, war die mit Andrea, einer jungen Studentin aus Santiago. Obwohl sie altersmäßig meine Tochter hätte sein können, verband uns — beide Einzelkinder — eine schwesterliche Beziehung. Andrea hatte nach dem Camino ebenfalls beschlossen, im darauf folgenden Jahr dort als Hospitalera zu arbeiten, hatte dazu an einem von Pater José Ignacios Cursillos teilgenommen und mir darüber vage berichtet. Nun freute ich mich doppelt, sie wieder zu treffen, als Freundin und als Kollegin, wollte wissen, wie es ihr als Hospitalera ergangen war.

Andrea hatte im Hochsommer, der Zeit des größten Trubels, in verschiedenen großen Herbergen in Galicien gearbeitet. Da all diese Häuser auf den letzten 100 Kilometern des Camino lagen, unterschieden sich ihre Erfahrungen gewaltig von den meinen. Ständig hatte sie sich genervten, anmaßenden, rücksichtslosen Menschenmassen ausgesetzt gesehen, persönlicher Kontakt war kaum möglich gewesen.

„Du kannst dir das nicht vorstellen, wie die sich aufgeführt haben“, Andrea schüttelte in Erinnerung daran den Kopf, „wir haben drinnen noch geputzt, da haben sie draußen schon an die Tür gehämmert und getreten. Wenn wir dann aufmachten, stürmten sie so brutal an uns vorbei, dass ich ein paar Mal fast umgestoßen wurde.“

Der Run auf die Herbergsbetten — sie hatte ihn hautnah in seiner übelsten Form mitbekommen. Meist konnten die Albergues gar nicht alle aufnehmen, die hinein wollten, mitunter mussten Ausweichquartiere zu Verfügung gestellt werden.

Polideportivo Sportanlagen“, meinte Andrea lakonisch, „das ist das Wort, das du dir für die Hochsaison merken musst. Turnhallen und so wurden für die Pilger aufgeschlossen und da konnten sie ihre Matten auf dem Boden ausrollen. Das war natürlich total ungemütlich, außerdem haben die Sanitäranlagen oft nicht gereicht, klar, dass deshalb viele Pilger nicht gerade gut drauf waren.“

„Konntest du denn wenigstens irgendetwas, was du in deinem Cursillo gelernt hattest, anwenden?“, wollte ich wissen. „Pah“, Andrea schüttelte lachend den Kopf. „Keine einzige Blase habe ich verarztet, obwohl ich das toll gelernt hatte. Dazu wäre überhaupt keine Zeit gewesen.“

Kein Wunder, dass sie von ihrer Hospitalera-Zeit nicht so begeistert war wie ich von meiner. Drei Kreuze sollte ich schlagen — was hatte ich doch für ein Glück gehabt — mit meinen Einsatzzeiten, den Orten und den Menschen, die mir dort begegneten.

Zum Abschluss einer Pilgerreise gehören in Santiago neben dem Besuch der Pilgermesse, Beichte und Kommunion einige Rituale, die von alters her vollzogen werden. So legt der Pilger beim Betreten der Kathedrale seine rechte Hand auf eine Säule am Pórtico de la Gloria, dem Säulengang der Herrlichkeit. Man kann die entsprechende Stelle nicht verfehlen, tiefe Fingerabdrücke im Marmor zeugen von den Abermillionen Pilgern, die hier ihrer Reise ebenso beendet haben. Hinter dem Hauptaltar führt dann eine Treppe zu einer kleinen Kapelle hinauf. Meist steht dort eine längere Schlange an für den so genannten Abrazo, die traditionelle Umarmung der Statue des Apostels. Schließlich bleibt noch, zur Grabkapelle mit dem prächtigen silbernen Reliquienschrein hinab zu steigen, um dem Heiligen Jakobus Ehrerbietung zu erweisen.

Auch wenn ich diesmal nicht als Pilgerin im eigentlichen Sinne kam, legte ich doch meine Finger an die Säule, gab der Heiligenfigur einen Abrazo und stieg in die Grabkapelle hinab. Es war schon Abend und die Kathedrale recht leer und in der Kapelle betete einzig eine junge Frau. Ich kniete mich neben sie, barg das Gesicht in den Händen, weniger um zu beten, als um mich in Gedankenleere zu versenken. Mit einem Mal meinte ich, Flüstern zu hören.

Bin ich jetzt übergeschnappt und hör schon Stimmen, dachte ich erst ein wenig erschrocken, merkte dann aber, dass die Stimmen zwei alten Frauen gehörten, die um den Schrein herum sauber gemacht und frische Blumen aufgestellt hatten. Nun waren sie fertig, schlossen das Gitter vor der Grabnische auf und kamen heraus. Während die eine es eilig hatte und davon strebte, nestelte die andere an ihrem Schlüsselbund und sah uns nachdenklich an.

„Na, ihr Mädchen“, meinte sie schließlich, „seid ihr beiden aus Santiago?“

„Nein“, schüttelte meine Banknachbarin den Kopf, „ich bin aus Galicien.“

„Und ich bin aus Deutschland.“

Die alte Frau nickte und gab sich einen Ruck. „Möchtet ihr mal kurz hinein zum Schrein des Heiligen Jakobus?“

Statt einer Antwort sprangen wir beide synchron auf, stürzten in die Grabnische, sanken auf die Knie, legen Hände und Stirn auf das kalte Silber des Schreins.

Ich habe kein Gefühl dafür, wie lange wir dort so knieten, während ich meinte, mein Herz im ganzen Körper klopfen zu spüren. Nein, ich glaubte nicht, dass wirklich die Gebeine des Heiligen Jakobus in diesem Schrein ruhten — aber das spielte letztlich keine Rolle, trotzdem hatte er eine große Bedeutung für mich.

In diesem Schrein am Ende einer schwierigen Wallfahrt sah ich das Symbol für die Suche der Menschen nach dem Göttlichen, egal was jeder Einzelne für sich darunter verstehen mag, wofür er aber bereit ist, größte Mühen auf sich zu nehmen.

Dass ich dieses Symbol jetzt zum Abschluss meines langen inneren und äußeren Weges im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen greifen durfte, empfand ich als ein unermessliches Geschenk, als eine Antwort...

Irgendwann drängte uns die alte Frau, die Grabnische zu verlassen. Ich umarmte und küsste sie zum Dank, sagen konnte ich nichts, meine Kehle war wie zugeschnürt.

Wie ich aus der Kathedrale wieder herausgekommen bin, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich bin ich geflogen.

 

An meinem letzten Tag in Santiago ging ich mittags in die Pilgermesse. Es herrschte graues winterliches Wetter, nur wenige Pilger waren angekommen und saßen in den Kirchenbänken, dazu ein paar Hausfrauen mit schweren Taschen, die zwischen den Einkäufen die Messe besuchten.

Der Priester sprach natürlich über den Camino, verglich ihn, wie üblich, mit dem Lebensweg.

Auf dem Weg durch unser Leben, so sagte der Pater, könne es vorkommen, dass wir nicht mehr wüssten, wo es langginge. Wir seien verwirrt, verirrten uns in Sackgassen, wüssten gar nicht mehr, wo wir eigentlich ankommen wollten. In solchen Fällen sei es gut, einen tatsächlichen Weg — eben den Camino — zu gehen, um wieder ein Gefühl für die richtige Richtung auf unserem Lebensweg zu bekommen.

Ähnliches hatte ich schon oft gehört, aber diesmal nahm ich es anders auf. So viele Menschen waren mir begegnet, die auf dem Camino Antworten auf wichtige Fragen in ihrem Leben suchten. Ich hingegen hatte erstmal eine Frage gesucht und weil ich generell ein Spätzünder bin, hatte ich, um das zu erkennen, sowohl eine Pilgerreise wie auch mehrere Hospitalera-Einsätze gebraucht.

Die Frage, die sich mir auf dem Camino stellte, lautete: Willst du wirklich so weitermachen mit deinem Leben, mit dem du derart unzufrieden bist?

Für die Antwort auf diese Frage brauchte ich wahrhaftig keinen brasilianischen Großgrundbesitzer — mittlerweile konnte ich sowieso nur noch den Kopf schütteln, wie ich dazu kam, eine solch dämliche Kleinmädchen-Phantasie zu spinnen. Na ja, wahrscheinlich hatte ich zu viele Hollywood-Schinken gesehen.

Denn mit der Beantwortung dieser Frage hatte ich — obwohl mir das erst jetzt bewusst wurde — längst selbst begonnen. Nach meiner Pilgerreise fand ich, dass ich viel zu viel Ballast mit mir herumschleppte, mistete Wohnung und Keller aus, verkaufte Kisten von überflüssigen Dingen, die ich doch nie mehr brauchen würde, auf dem Flohmarkt.

Nach meinem ersten Hospitalera-Einsatz kündigte ich die Wohnung in der Stadt, in der ich schon lange nicht mehr sein wollte, obwohl ich in der Stadt, wo ich gern hinwollte, noch keine Bleibe hatte.

Nach dem nächsten Einsatz bestellte ich den Möbelwagen, obwohl ich immer noch keine neue Wohnung hatte, um meine Habe erstmal auf dem Dachboden einer Freundin zwischenzulagern. Fünf Tage vor dem festgesetzten Termin fand ich in meiner Wunsch-Stadt genau die passende Wohnung und dirigierte den Möbelwagen dorthin.

Nach meinem letzten Einsatz als Hospitalera schließlich krempelte ich mein ganzes Leben um.

Aber das ist eine andere Geschichte — und die soll ein andermal erzählt werden.